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Herzlich Willkommen auf dem IGZ-Blog! Lass Dich von unserem prätentiösen Namen nicht abschrecken. Entstanden sind wir auf einer Kaffefahrt über den Zürichsee. Wir sind kein Verein, sondern ein Freundeskreis und interessieren uns für alles, was das Leben in einem spätmittelalterlichen Städchen ausmacht - und für dessen jeweilige Rekonstruktion. Hier auf unserem Blog berichten wir von unseren Aktivitäten und über unsere verschiedenen Projekte. Schau doch ab und zu mal vorbei, falls wir Dein Interesse geweckt haben.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Rogers Rekonstruktion: Jakobspilger

Mitunter einer der meistbegangenen Pilgerwege aller Zeiten: der Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien. Der Jakobspilger zeichnet sich durch typische Atribute aus: Stab, Tasche, Hut, Mantel und Kürbisflasche.

In seinem Ratgeber beschreibt Hermann Künig von Vach 1494 den Weg durch das deutschsprachige Europa, Frankreich und Spanien bis ans Kapp Finisterre (das Kapp der Finsternis, Ende der Welt) an der spanischen Westküste. Dort soll der Leichnam des heiligen Jakobus nach der Überfahrt aus dem heiligen Land in Spanien angelangt sein. Seither liegt der Heilige angeblich in seinem Grab in der Kirche von Santiago de Compostela, etwa zwei Tagesmärsche von der Küste entfernt im Hinterland. Nebst den Wallfahrten nach Jerusalem und Rom gehört dieser Weg seit jeher zu den am meisten begangenen.
Die Habseligkeiten des Pilgers können anhand von Grabungsfunden, Bildquellen und schriftlichen Berichten nachempfunden werden. So wie unsere heutige Outdoor-Ausrüstung sowohl witterungsbeständig als auch bequem sein muss, stellt der Einsatz auf einer Pilgerfahrt hohe Ansprüche an die Qualität sowie die Haltbarkeit des Materials: Der Mantel muss möglichst viel Bewegungsfreiheit bieten und daher weit geschnitten sein. Als Beinbekleidung kommen Pluderhosen oder einfache Beinlinge in Frage. Der Filzhut muss nachträglich gefettet und anschliessend aufgerauht werden, damit Wassertropfen möglichst vollständig abperlen und er sich bei Regenwetter nicht vollsaugt. Der Pilgerstab ist mit einer geschmiedeten Spitze versehen, damit er unter der ständigen Belastung nicht splittert - und um allenfalls zur Abwehr von Raubgesindel und angriffigen Hofhunden eingesetzt werden zu können.

Der nicht von ungefähr "Pellerine" genannte Umhang des Pilgers besteht aus gewachstem Rindsleder. Er schirmt die Schultern sowie den restlichen Körper vom Regen ab. Als Vorlage für die Rekonstruktion dient ein Gräberfund aus Lourdes. Es scheint sich um die Pellerine eines heimgekehrten Jakobspilgers aus der Zeit um 1500 zu handeln.
(vgl. Berns grosse Zeit, Berner Lehrmittel- und Medienverlag 1999 ).
Filz, gefettete Wollstoffe, punziertes Leder sowie eine Vielzahl weiterer Materialien kommen bei der Rekonstruktion der Pilgerutensilien zur Verwendung. Durch den Einsatz historisch belegter Handwerkstechniken werden detailgetreue Nachbildungen hergestellt. Diese sorgen für ein eindrückliches Erscheinungsbild und ermöglichen später Aussagen über die Belastbarkeit und Lebensdauer der jeweiligen Materialien sowie über die Qualität der gewählten Verarbeitungsmethoden.

Gussformen für die Herstellung von diversen Alltagsgegenständen gehören zu den weit verbreiteten Funden durch diverse Epochen. Dies liegt wohl einerseits an deren Häufigkeit - andererseits an ihrer Beschaffenheit: sie bestehen in der Regel aus feinkörnigem Sedimentgestein (Schiefer, Sand- oder Speckstein). Mit dieser Technik wurden einfache bis hochdetaillierte Gegenstände gegossen: Gürtelschnallen, Fiebeln, Kinderspielzeug und eben auch Pilgerzeichen. Diese wurden von den Wallfahrenden an ihren Kleidern und Hüten befestigt.



Auf die Rekonstruktion folgt wie immer die Überprüfung ihrer Alltagstauglichkeit - und in diesem Fall zum Schluss ein kleines Rollenspiel unter Mittelalter-Darstellern: Auf der Rückkehr aus fremden Landen hat der Pilger die vergangene Nacht im Kloster Einsiedeln verbracht, wo er mit einer warmen Mahlzeit versehen wurde. Nun sucht er seinen Heimweg der Jona entlang vom Zürichsee Richtung Bodensee. Unterwegs macht er halt, um seine Flasche an diesem sauberen, rasch fliessenden Flüsschen ein weiteres Mal zu füllen.
Nach der Überfahrt über den Bodensee gelangt der müde Pilger nach Meersburg. Hier lässt er sich nieder um auszuruhen und um Almosen zu betteln. Doch wenig Zeit vergeht, bis er vom Hauptmann der Stadtwache aufgeschreckt wird. Da sich Bettler und Diebe  unter dem Vorwand, Pilger zu sein, fest im Städtchen niederlassen, muss der Jakobspilger seine Echtheit anhand seiner Urkunde beweisen. Er erhält nun die Erlaubnis, sich sieben Tage lang in Meersburg aufzuhalten und zu betteln. Anschliessend muss er weiterziehen. Wohin ihn seine Heimkehr führen wird? Vielleicht liegt seine Heimat ganz in der Nähe in einem süddeutschen Ort. Vielleicht hat er aber auch noch viele Tagesmärsche vor sich, möglicherweise sogar bis an die Nordsee. Singend, betend, bettelnd geht er seinen Weg weiter. Mal in einer Gruppe, dann wieder allein, von Kloster zu Kloster, von Stadt zu Stadt.

(Fotos: Isabelle, Christoph und Roger)